Das Murmeltier sagt leise Servus
05.03.2024 | Auch hier zu finden im Web
Das Murmeltier sagt leise Servus
Dr. Christoph Müller
Veröffentlicht auf LinkedIn am 05.03.2024
Über die vergangenen Jahre habe ich hier regelmäßig zu Beginn des Jahres Rückschau auf ein paar Eckzahlen in der Marktabwicklung des Vorjahres gehalten. Initialer Ausgangspunkt und zentraler Gegenstand des ersten dieser Artikel war für mich die Frage, warum Versorgerwechsel innerhalb eines Tages eigentlich ein Problem sind. Dem darauf aufbauenden Wortspiel mit dem Filmtitel „Und täglich grüßt das Murmeltier“ bin ich über die Jahre treu geblieben. Dies ist jetzt aber mein letzter „Murmeltierartikel“. Mit meinem Wechsel zu Amprion verändert sich meine Rolle. Ich muss auch feststellen, dass das große Bild über die Jahre recht stabil geblieben ist.
Kurz noch einen Hinweis: Alle Zahlen beziehen sich auf das Netzgebiet der Netze BW GmbH und auf Strom. Das sind knapp 5 % des deutschen Marktes. Ich wüsste nichts, was dagegenspräche, die Situation bei uns als repräsentativ anzusehen.
Kundenwechsel im Jahr 2023
Das Jahr 2022 hatte einen ziemlichen Einbruch in den Kundenwechseln gesehen. Dies wohl vor allem deshalb, weil viele Lieferanten bei den heftigen Marktverwerfungen infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine keine Neukunden mehr angenommen haben. Und vielleicht steckte gerade den wechselaffineren Kunden noch die Schockerfahrungen am Jahresende 2021 in den Knochen, in der einige Stromdiscounter ihre Kunden abgeworfen und in der schwierigen Marktsituation im Regen haben stehen lassen. Die angemeldeten Kundenwechsel gingen von 575.000 im Jahr 2021 auf 404.000 im Jahr 2022 zurück. 2023 stiegen sie mit 599.000 angemeldeten Wechseln wieder auf das Vorkrisenniveau an.
Einen deutlichen Unterschied gibt es allerdings bei der Quote der gescheiterten Kundenwechsel. Während in den Vorjahren 15 % (2021) bzw. 13 % (2022) aller angemeldeten Wechsel scheiterten, waren dies 2023 mit 164.000 Wechselablehnungen 27 %. Der Netzbetreiber lehnt einen Wechsel im Kern aus zwei Gründen ab: Technik und Lieferantenstreiterei.
Technische Probleme …
Oft scheitert es an der Technik der Marktkommunikation. Die zum Wechsel angemeldete Lieferstelle kann nicht eindeutig identifiziert werden oder – besonders nett – sie liegt gar nicht in unserem Netzgebiet. In der Vergangenheit waren solche Technikprobleme bei rund 20 % der fehlgeschlagenen Wechselanmeldungen die Ursache für das Scheitern, vergangenes Jahr waren es 39 %.
Wenn man in die Daten einsteigt, sieht man, dass hier ein neues „Technikproblem“ dominiert: „Der Grundversorger ist der Marktlokation nicht zugeordnet“ (so die Bezeichnung in der Sprache der Marktkommunikation). Der neue Lieferant meldet sich bei uns zum Wechsel eines von ihm frisch akquirierten Kunden und gibt dabei „Lieferbeginn und Abmeldung aus der Ersatzversorgung“ an. Allerdings ist der bisherige Lieferant kein Grundversorger – das führt zur Ablehnung. Im Jahr 2022 gab es hier vier Fälle (vier, nicht viertausend), 2023 waren es 23.227! Wenn man sich die Fälle anschaut, stellt man fest, dass es unglaublich viele Wiederholungen gab. Einige neue Lieferanten haben ihre IT offensichtlich so programmiert, dass sie nach erfolgter Ablehnung 30 Minuten warten und dann einfach eine neue Anmeldung starten. Und das dann mehrere hundert Mal. So eine IT ist ja tapfer.
Man fragt sich, was die Logik dieser Programmierung ist. In einem Fall hatten wir 860 Wechselanmeldungen, immer mit denselben Daten, die dann 860-mal abgelehnt wurden. Glaubt man, dass wir nach 500 erfolglosen Anmeldungen dann noch einmal besonders oder anders prüfen? Das machen wir, wenn man uns anruft und mit uns redet – und das kann dann zu überraschenden bis witzigen Erkenntnissen führen (dass beispielsweise der Weltfrauentag ein auch in Bayern zu berücksichtigender Feiertag ist, siehe hier). Aber genauso stupide wie der Wechsel immer wieder angemeldet wird, wird er immer wieder abgelehnt. Und nach 63 Tagen tapferen wie vergeblichen Anmeldens hat dann wohl ein Mensch die Maschine erlöst.
… und Lieferantengezänk
Der Hauptgrund für gescheiterte Wechsel ist aber „Lieferantenstreiterei“. In der Regel ist der bei der Wechselanmeldung angegebene bisherige Lieferant tatsächlich noch aktuell als der Versorger des Kunden zuständig (normalerwiese „trifft“ die IT also). Bevor wir den Kundenwechsel durchführen, fragen wir diesen bisherigen Lieferanten, ob er dem Wechsel zustimmt. Und in rund 101.000 Fällen wurde dem Wechsel widersprochen (42.000 im Jahr 2022 und 67.000 im Jahr 2021), vermutlich weil man ein bestehendes und noch nicht beendetes Vertragsverhältnis sah. Ich schreibe „vermutlich“, weil wir als Netzbetreiber das nicht wissen oder gar prüfen – wir reichen die Ablehnung dann einfach nur durch an den Jetzt-doch-nicht-neuen-Lieferanten und lehnen den Wechsel ab.
Unterm Strich ist das für die Netzbetreiber keine angenehme Rolle: Wir überbringen die schlechte Nachricht, für die wir nichts können. Und auch in der Statistik sieht das nicht gut aus. 164.000 Wechselwünsche von Kunden konnten wir nicht erfüllen. Allerdings in den allermeisten Fällen aus Gründen, die wir nicht zu verantworten haben. Eben weil sich die Lieferanten streiten oder weil ein Lieferant seine Maschine auf Dauerbeschuss programmiert hat.
Um die positive Seite zu betrachten: 435.000 Lieferantenwechsel haben wir erfolgreich umgesetzt. Wenn alle IT-Systeme von Netzbetreiber, bisheriger Lieferant und zukünftiger Lieferant nahtlos zusammenarbeiten, dann ist der Lieferantenwechsel in einem Tag schon Realität. Die Abwicklungskette ist vollautomatisiert und die Meldungen und Bestätigungen laufen binnen Minuten ab. Der Kunde kann dann allerdings nicht am darauffolgenden Tag mit Wirksamkeit zum übernächsten Tag schon wieder wechseln. Dies soll die Branche zum 1. April 2025 umsetzen. Ich frage mich zwar manchmal, warum – denn die Kunden schließen ja in der Regel Jahresverträge ab. Die Kraft, die wir für diese Systemerweiterung einsetzen, könnten wir auch sinnvoller für Abwicklungsthemen einsetzen, die die Energiewende tatsächlich nach vorne bringen. Aber wahrscheinlich ist das so ein Netzbetreiber-Ding, dass ich den Markt hier nicht verstehe ...
Dr. Christoph Müller
www.linkedin.de/mueller-energieWeitere Artikel
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