Vom Leitungswasser der Energiewende - Rede auf dem HY.SUMMIT.Rhein.Ruhr 2024

26.09.2024 | Auch hier zu finden im Web

Wasserstoff
Energiewirtschaft
Energiewende

Wasserstoff wird immer noch gerne als der „Champagner der Energiewende“ bezeichnet. Ich fange die Rede mit diesem Bild an, weil ich weiß, dass die Wasserstoff-Community dieses Bild so mag. Das Bild impliziert, dass Wasserstoff so teuer, knapp und begehrt sei, dass er nur für Ausnahmesituationen, für besondere Anlässe aufgespart werden sollte. Eine Flasche Champagner macht man ja auch nicht jeden Tag auf.

Doch wie viele Flaschen Wasserstoff-Champagner wollen wir in der Energiewende denn trinken? Bei der Beantwortung dieser Frage hilft ein Blick auf Prognosen für den deutschen Wasserstoffbedarf im Jahr 2050. Die Erwartungen, das sieht man auf den ersten Blick, gehen weit auseinander. Doch selbst die Studien, die für die Entwicklung des Wasserstoffbedarfs eher konservativ unterwegs sind, sagen für 2050 einen Bedarf von über 250 Terawattstunden voraus. Es könnte auch deutlich mehr werden: In den Szenarien zum Netzentwicklungsplan sehen wir Übertragungsnetzbetreiber bis zu 700 Terawattstunden für Deutschland. Unterstellt man eine Eigenerzeugungsquote von 30 bis 70 Prozent, dürfte die deutsche Wasserstoffproduktion im Jahr 2050 zwischen 75 und 500 Terawattstunden schwanken.

Gerade weil die Spreizung so groß ist, verstellt sie den Blick auf den doch eigentlich vorhandenen Konsens der diversen Studien. Bei einer Orientierung am niedrig angesetzten Verbrauch von 250 TWh für Deutschland – was mehr ist als der aktuelle Energieverbrauch der gesamten Schweiz – lässt sich der europäische Wasserstoffbedarf im Jahr 2050 auf grob 1.500 TWh schätzen – die Wasserstoffwende wird sich ja nicht allein auf einer deutschen Energieinsel abspielen. Wenn so viel Wasserstoff verfügbar ist, gibt es aus meiner Sicht keinen Grund, warum nicht auch 2.000 oder 2.500 TWh verfügbar sein sollten. Das Problem der Massenverfügbarkeit muss bei 1.500 TWh ja wohl gelöst worden sein. Auch für die Kosten kann man bei diesen Mengen eine positive Botschaft herauslesen: Diese müssen ja auf ein Niveau gesunken sein, dass die deutsche bzw. europäische Industrie mit dem Energieträger Wasserstoff auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist. Denn ist sie das nicht, wird sie diese angenommenen Mengen auch nicht nachfragen.

Selbst die konservativen Prognosen nehmen also eine Welt mit einfach verfügbarem und günstigem Wasserstoff an. Dann ist Wasserstoff aber nicht mehr der Champagner, sondern das Leitungswasser der Energiewende.

Ganz nebenbei und an meine Verteilnetzbetreiber-Vergangenheit denkend stellt sich dann natürlich auch die offensichtliche Frage, warum bei umfassend verfügbarem und günstigem Wasserstoff sich das Champagner-Narrativ so hartnäckig hält und Wasserstoff nicht auch im Wärmebereich eingesetzt bzw. dafür eingeplant wird? Der Industrie mag es recht sein, denn schließlich ist die Zahlungsbereitschaft von Haushalten für Energie höher als die der Industrie und so einen Nachfragekonkurrenten hat keiner gerne im Markt.

Aber die Wärmefrage bleibt unbeantwortet und gerade die kommunalen Gasversorger setzen sich sehr für die Weiternutzung der Gasnetze in einer Wasserstoffwirtschaft ein. So ergebnisoffen, wie man eine Transformation angehen muss, hat das auch eine sozialpolitische Komponente. Wenn wir Wasserstoff als einen günstigen und umfassend verfügbaren Energieträger ansehen, sind der Staat und die Regulierung in der Verantwortung, durch entsprechende Rahmensetzung eine breit aufgestellte Infrastruktur zu ermöglichen – auch für Wasserstoff im Wärmebereich, für Haushalte und Gewerbe.

Keine Energiewende ohne Moleküle

Doch kommen sie denn, diese Wasserstoffmengen, die uns in den Studien vorausgesagt werden? Es ist ein Phänomen unserer Zeit, dass wir in Studien die Energiewende schon ganz oft geschafft haben. Dabei muss man sich nur einmal Studien aus dem Jahr 2000 für das Energiesystem 2020 anschauen. Das hat einen gewissen Unterhaltungswert und es lehrt Demut vor der Zukunft.

Aber nicht nur wegen der zahlreichen Studien bin ich davon überzeugt, dass unsere Industrie und unser Energiesystem Wasserstoff als Energieträger benötigen. Denn mit grünem Strom allein werden wir die Energiewende nicht schaffen. Eine so stark industrialisierte Volkswirtschaft wie die deutsche kann nicht ihren gesamten, bisher fossil gedeckten Energiebedarf auf grünen Strom umstellen. Der Verbrauch würde in astronomische Höhen steigen, wenn sämtliche Industrieanlagen mit Strom laufen sollten.

Dazu genügt abermals ein kurzer Blick auf die Zahlen: Der deutsche Stromverbrauch liegt bei gut 500 TWh, die Hälfte davon mittlerweile aus erneuerbaren Energien. Der Gesamtenergieverbrauch liegt aber bei knapp 3.000 TWh, von denen Deutschland etwa zwei Drittel importiert. Dabei handelt es sich hauptsächlich um fossile Energieträger. Und da die politische Verfassung der möglichen Quellenländer für Wasserstoff gerne als kritisches Argument angeführt wird, sei nur kurz angemerkt, dass schon unsere aktuell laufenden Energieimporte teilweise aus Ländern kommen, deren politische Systeme in dieser Logik als mindestens diskussionswürdig eingestuft werden müssen.

Nach meinem Eindruck reden wir oft von zwei gleichzeitig stattfindenden Wenden. Explizit sprechen wir von der Energiewende hin zur Klimaneutralität. Implizit unterstellen wir oft, dass alles in Deutschland stattfinden muss. Dass also eine zweite Wende stattfinden soll, eine Wende hin zur Energieautarkie. Wir werden aber nicht beide Wenden gleichzeitig schaffen. Auch ein klimaneutrales Deutschland wird importabhängig bleiben. Und Moleküle transportieren sich über sehr lange Strecken einfach besser als Elektronen. Wir werden damit neben Elektronen auch grüne Moleküle für die Energiewende benötigen, also nach Lage der Dinge Wasserstoff.

Endlich ins Machen kommen

Wie kommen wir aber nun zu einem erfolgreichen Wasserstoffhochlauf, der uns diese grünen Moleküle günstig und in ausreichender Menge zur Verfügung stellt? Dafür gibt es zwei Erfolgsfaktoren. Der erste ist, einfach endlich anzufangen.

Wir sind vor einigen Jahren mit hochgesteckten Zielen für den Wasserstoffhochlauf gestartet. Diese Ziele wären schon schwierig zu erreichen gewesen, doch wir haben sie dann weiter hochgeschraubt. Im Jahr 2023 hat die Bundesregierung in der Fortschreibung der deutschen Wasserstoffstrategie das Ziel von fünf Gigawatt Leistung bis 2030 in deutschen Elektrolyseuren auf zehn Gigawatt verdoppelt. Einer aktuellen Studie des Wuppertal-Instituts zufolge sind davon heute allerdings erst 0,6 Gigawatt umgesetzt, im Bau oder kurz davor. Um die neuen Ziele zu erreichen, müssten sich die Kapazitäten in Deutschland in den kommenden sechs Jahren also versiebzehnfachen.

Die eben erwähnte Studie des Wuppertal-Instituts zu Wasserstoff-Importstrategien bringt das Dilemma auf den Punkt: „Trotz ehrgeiziger Ankündigungen verfügt kein europäisches Land bereits heute über substanzielle Projekte zur Wasserstofferzeugung.“ Und weiter: „Damit bestehen enorme Unsicherheiten, wann Wasserstoff nach Deutschland und NRW exportiert werden kann.“

Gegenwärtig sind wir zu langsam. Wenn ich mich in meiner Alterskohorte umhöre, schwanken unsere Reaktionen auf Fridays for Future zwischen gerührt, amüsiert und genervt: Ahnungslose Kinder, die von ihren Eltern – also von uns – zur Schule gefahren werden und die mehr konsumieren als jede Jugend vor ihnen. Die Forderung, mal eben alle Kohlekraftwerke abzustellen, zeuge doch nur von Mangel an Realitätssinn.

Doch haben wir richtig hingehört? Wenn wir in diese pauschalen Vereinfachungen abgleiten, würde ich sagen: Nein. Die Jugend sagt uns klar und deutlich: Macht verdammt nochmal schneller! Und diese Forderung wird ja von der Wissenschaft unterstützt – wir sind zu langsam für das 2-Grad-Ziel unterwegs. Dass wir den Kohleausstieg nicht schon heute schaffen, ist das Ergebnis energiepolitischer Weichenstellungen von Jahrzehnten. Das entbindet uns doch aber nicht zu überlegen, wie der Kohleausstieg jetzt verantwortungsbewusst schneller umgesetzt werden kann und diese Überlegungen dann auch ins konkrete Leben zu bringen. Was können wir also heute tun, um den Verzicht auf fossile Energien nächste Woche möglich zu machen? Und der Jugend geht es nicht um Papier, Powerpoint und Konzepte – sondern um konkret umgesetzten Klimaschutz. Wie überspringen wir also die Kluft zwischen theoretisch perfekten Zielkonzepten und pragmatisch umgesetzten Lösungen? Sicher nicht dadurch, in der nächsten Runde die Ziele noch einmal in die Höhe zu schrauben.

Der Wasserstoffhochlauf kann gelingen, wenn wir schnell und pragmatisch in die Umsetzung kommen. Dass da eine Menge gehen kann, hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahren zusammen mit den Übertragungsnetzbetreibern beim Stromnetzausbau gezeigt. Die Übertragungsnetzbetreiber können inzwischen Tempo machen bei den großen Windstromkorridoren, weil die Genehmigungsverfahren schneller laufen. Wir haben beim Strom deshalb eine Perspektive: In drei bis vier Jahren wird es uns gelungen sein, den Netzausbau mit dem dynamischen Ausbau der erneuerbaren Energien zu synchronisieren, sodass die Stromkunden nicht mehr jährlich Milliarden für das Engpassmanagement ausgeben müssen. Dieses Tempo muss die Bundesregierung auch beim Wasserstoffhochlauf anwenden.

Der wichtigste Hebel ist das Schaffen von Investitionssicherheit, durch Zertifizierung von grünem Wasserstoff und mehr schnelle Förderzusagen für Elektrolyseure. Auch der Ausbau der Transportinfrastruktur sollte sich durch eine Eigenkapitalverzinsung lohnen, die dem Risiko der Investition entspricht. Und ich kann Ihnen nicht ersparen, dass ich hier jetzt auch das Thema Eigenkapitalverzinsung anspreche. Nicht nur die Netzbetreiber sehen den aktuellen Eigenkapitalzinssatz für Netzinvestitionen als zu niedrig an. Auch Ratingagenturen stufen den deutschen Regulierungsrahmen, neben Belgien, als den schlechtesten in Europa ein. Und auch da ist Deutschland keine Insel – es ist wirtschaftlich attraktiver, die Energiewende außerhalb von Deutschland nach vorne zu bringen.

Finanzierung fair verteilen

Der zweite Erfolgsfaktor beim Wasserstoffhochlauf betrifft nicht die Umsetzung, sondern die Verteilung der Finanzierungskosten in der Gesellschaft. Wir werden das Ziel eines klimaneutralen Energiesystems nur erreichen, wenn die Transformation für alle bezahlbar bleibt. Dass das eine Frage der Höhe der Kosten ist, ist offensichtlich. Aber es soll für alle bezahlbar bleiben und so ist es auch eine Frage der Verteilung.

Der Wasserstoffhochlauf ist auf die Infrastruktur für Strom angewiesen, sie bildet die Basis für Elektrolyseure und Speichersysteme. Aktuell sind es vor allem die Haushalte, Gewerbetreibende sowie kleinere und mittlere Industriekunden, die über die Netzentgelte belastet werden. Und obwohl die Kosten für die Netzinfrastruktur steigen werden und die Netzentgelte von Transformationskosten wie Engpassmanagement und Kraftwerksreserven belastet werden, ist eine Anpassung dieser Wälzungssystematik nicht vorgesehen. Das wird in den kommenden Jahren zu einem echten Problem.

Der Netzausbau im Strom wurde lange nur von der Einspeisung bestimmt. Die Kosten entstanden und entstehen durch den Anschluss neuer Erzeugungsanlagen, insbesondere an schwer zugänglichen Gebieten wie mitten in der Nord- und Ostsee. Diesen einspeisegetriebene Netzausbau bezahlen nur die Entnehmer – Haushalte, Gewerbe, kleine und mittlere Industriekunden. Die Entscheidung wurde einst in der Erwartung getroffen, dass mit der Energiewende der Stromverbrauch steigt und die Netzkosten entsprechend sinken. Jetzt sehen wir, dass diese Kostendegressionen nicht kommen. Zum einen, weil durch die dezentrale Erzeugung die Mengen sinken, auf welche die Infrastrukturkosten verteilt werden. Und zum zweiten, weil die Entnehmer, die sich perspektivisch mit großen Entnahmemengen an das Stromnetz anschließen wollen, also Elektrolyseure und Batterien, kein Entnahmenetzentgelt zahlen wollen bzw. im Rahmen ihrer Business Cases zahlen können.

Wir müssen das Netz aber auch ausbauen, um Elektrolyseure oder Batteriespeicher ins System zu bringen. Sie sind entscheidend für eine erfolgreiche Energiewende, nur sind aktuell ihre Geschäftsmodelle mit Netzentgelten nicht rentabel. Dass sie sich nicht an den Kosten beteiligen, ist vom Verursacherprinzip her jedoch nicht richtig. Und es ist sicher falsch, auch diese Netzausbaukosten wieder nur auf Haushalte, Gewerbe und Mittelstand zu wälzen.

Wir bei Amprion setzen uns daher schon lange dafür ein, dass der Gesetzgeber die Transformationskosten aus den Netzentgelten herausnimmt und im Sinne eines „gesamtgesellschaftlichen Projekts“ übernimmt. Das betrifft die Engpassmanagementkosten, die zahlreichen Reservekraftwerke und absehbar auch die Anschlusskosten und Netznutzung für Elektrolyseure. Wenn wir sehen, dass wir Batterien und Elektrolyseure von den Netzkosten freistellen müssen, dann sollten wir uns ganz bewusst überlegen, wie wir diese Unterstützung finanzieren und sie nicht auch wieder unreflektiert über den immer gleichen Pfad auf die immerselben Kundengruppen wälzen, die jetzt schon die Netzkosten der Energiewende tragen.

Ich weiß, dass ich mit diesem letzten Punkt meiner Rede auf einer Konferenz zu der Zukunft des Wasserstoffs keine Begeisterungsstürme auslöse. Ich bitte Sie, mir genau zuzuhören: Ich stelle nicht die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer Netzentgeltbefreiung für Elektrolyseure in Frage. Ich stelle nur fest, dass wir diese Befreiung nicht unreflektiert über die Netzentgelte refinanzieren können, weil über diesen Weg schon zu viele Energiewendekosten geschoben werden. Und ich bitte Sie, auch über diese Frage der Refinanzierung zu diskutieren und konstruktive Vorschläge zu machen.

Für mich sind das zentrale Punkte einer erfolgreichen Energiewende: Ihre Kosten müssen fair, das heißt sozial verträglich und verursachungsgerecht, verteilt werden. Und wir werden die Energiewende in all ihren Facetten nur erfolgreich umsetzen, wenn wir gemeinsam darüber diskutieren. Orte wie der HY.SUMMIT.Rhein.Ruhr hier in Dortmund sind dafür ein guter Ort und so wünsche ich Ihnen eine erfolgreiche Konferenz und gute und erkenntnisreiche Gespräche.

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