Was alles zählt für den Erfolg der Energiewende

21.10.2023 | Auch hier zu finden im Web

Messwesen
Digitalisierung
Regulierung
Energiewende

Was alles zählt für den Erfolg der Energiewende

Rede auf den Metering Days, Fulda, 17.10.2023.

„Was alles zählt für den Erfolg der Energiewende“ – wenn man diese Frage wortwörtlich nimmt, kann man sie konkret und einfach beantworten: Im Netz der Netze BW GmbH zählen im Industriekundenbereich 25.000 klassische Lastgangmessungen und im Standardlastprofilbereich fast 800.000 moderne Zähler – FNN-Basiszähler –, von denen fast 50.000 auch einen kommunikativen Anschluss haben. Daneben haben wir noch rund 1,7 Mio. klassische Zähler. Sie alle tragen die Daten zusammen, die die Basis für die Messung, Steuerung und Digitalisierung der Energiewende bilden.

Bei dieser Digitalisierung nehme ich immer wieder wahr, dass man nicht nur beim Zähler-Roll-Out, sondern ganz allgemein den Digitalisierungsfortschritt der Energieversorger kritisch betrachtet. Da könnte mehr gehen, die sind rückständig – diese Vorurteile treffe ich immer wieder an. Meist garniert mit dem Bericht von den Stadtwerken Niederkaltenkirchen, die gerade letzte Woche ihre Ablösung von Windows 3.11 gefeiert haben – wobei ich an dieser Stelle leise anmerken muss, dass der souveräne Umgang der Stadtverwaltung von Niederkaltenkirchen mit Videokonferenzen alles in den Schatten stellt, was ich im kommunalen Umfeld in den letzten Jahren erlebt habe.

Der Wettbewerb im Messwesen

Es bringt ja nun wenig, wenn ich hier in einer Runde von Branchenvertretern ausführe, warum ich glaube, dass wir bei der Digitalisierung besser sind als unser Ruf. Nähern wir uns dem Thema doch einmal von einer anderen Seite. Als das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende diskutiert wurde, wurde uns immer eine klare Erwartung in Bezug auf die Entwicklung entgegengehalten: Mit der Liberalisierung des Messwesens wird die Branche in diesem Feld sehr schnell zur Seite geschoben werden. In 10 Jahren gibt es nur noch drei, vier nationale Messstellenbetreiber, die die Energieversorger verdrängt haben werden. Die großen digitalen Konzerne – Amazon, Google, Deutsche Telekom – werden das Feld aufrollen!

Das ist offensichtlich nicht passiert. Der vielleicht einzige, aber auf jeden Fall der mit Abstand größte wirklich nationale wettbewerbliche Messstellenbetreiber arbeitet unter Insolvenzschutz. Viele der Energievertriebe mit wirklich neuen innovativen Energieprodukten kaufen die dafür notwendigen intelligenten Messsysteme mittlerweile beim jeweiligen Netzbetreiber ein, weil die Erfahrungen mit nationalen Anbietern „nicht so prall“ waren, um es mal sehr locker zu formulieren. Wir bei der Netze BW GmbH haben beispielsweise eine gedeihliche Zusammenarbeit mit tibber.

Wenig beachtet wurde bisher, dass auch das Bundeswirtschaftsministerium die damalige Marktvision aufgegeben hat. Denn mit der Reform des Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende wurde der Wettbewerb im Messwesen de-facto beendet. Wettbewerb wird nicht stattfinden, wenn der Kunde nur noch 20 Euro von der Preisobergrenze bei sich im Portemonnaie spürt. Und der Anreiz für einen Anbieter mit neuen coolen Produktideen, auch noch die ganze Abwicklungskette bundesweit verfügbar aufzubauen, um bei allen neuen Kunden einen Zähler setzen zu können, ist sehr begrenzt. Insbesondere, wenn dieser Zähler dann bei aller Innovation einen standardisierten Tarifanwendungsfall abbilden muss. Und man sich die Mühe eigentlich nicht machen muss, denn man kann den notwendigen Zähler ab 2025 auch ganz entspannt über die standardisierte Marktkommunikation bestellen.

Ja, es wird Bereiche und Fälle geben, in denen wettbewerblich noch Musik drin ist. Ich habe zum Beispiel große Hoffnungen in unsere Kooperation mit Minol bzw. Zenner für das Thema Submetering und Zusammenarbeit mit Ablesungen aller Art im Keller. Aber zu einer die Branche überrollenden Digitalisierung durch Tech-Riesen wird es wohl nicht kommen.

Auch deshalb nicht, weil die Margen knapp sind und die Regulierung überbordend ist. Für mich ist klar: Wir müssen an die Preisobergrenzen ran. Die aktuellen Preisobergrenzen im Messwesen kommen aus der damaligen EY-Studie mit einer Datenbasis von etwa 2011, die uns ja unglaubliche wirtschaftliche Potentiale aus der Digitalisierung versprochen hat. Allein aus der Geldentwertung sind die Preisobergrenzen seit damals um 22 % zurückgegangen und werden – mal 5 % Inflation pro Jahr angenommen – bis 2030 noch um weitere 48 % sinken. Und weil Prozente so abstrakt sind, einmal konkret in Euros: 100 Euro brutto Preisobergrenze im Gesetz sind 84 Euro netto für den Messstellenbetreiber.  Und diese 84 Euro aus Analysen auf Datenbasis 2011 sind heute nur noch 69 Euro und absehbar – auch wenn meine Inflationsannahme zugegeben ordentlich ist – nur noch 47 Euro wert. Zur Erinnerung: Die Preisobergrenzen sollten ja durch den heftigen Wettbewerb nach unten getrieben werden. Aber diese Preisobergrenzen werden keinen Wettbewerb in den Markt bringen. Und es kann ein Marktversagen auch aufgrund regulatorischer Vorgaben geben – eigentlich ist das wohl der häufigste Grund. Die Preisobergrenzen können so nicht bleiben.

Zumal – und damit komme ich zu einem weiteren unvermeidlichen Punkt der aktuellen Situation im MSB-Bereich – die EY-Studie nicht den SILKE-Wahnsinn auf der Kostenseite berücksichtigt hat. Ich predige hier ja den Wissenden. Aber alle, die zum ersten Mal die Öffnung einer SILKE-Box erleben, sind enttäuscht. Man erwartet das Rheingold, Teile des Bernsteinzimmers oder wenigstens den Bauplan für einen funktionierenden Fusionsreaktor zu finden… Und was ist tatsächlich drin: profane Gateways.

Wir dürfen nicht müde werden, diese einfachen Punkte immer wieder zu betonen:

  • Eine erfolgreiche digitale Umrüstung des Messwesens braucht eine faire Chance darauf, bei gutem Wirtschaften auch tatsächlich ein paar Euros verdienen zu können.

  • Eine erfolgreiche digitale Umrüstung des Messwesens muss trotz SILKE, DSGVO und anderen Regularien operativ umsetzbar bleiben.

Die Erwartungen, was mit einem flächendeckenden Roll-out von Intelligenten Messsystemen und Gateways für die Energiewende möglich sein wird, ist überbordend. Aber sie brauchen wirtschaftliche Perspektive und in den regulatorischen Grenzen Luft zum Atmen.

Wo wir Flexibilität einsetzen sollten

Aber was ist möglich aus der Digitalisierung des Kellers für die Energiewende? Während wir sonst wenigstens ein Konzept haben, scheinen mir hier, beim Umgang mit der sich aus der Digitalisierung ergebenden Flexibilität, die Konzepte noch recht unausgegoren. Und weil das sich an einem konkreten Beispiel besser diskutieren lässt, möchte ich Ihnen eines geben: Unser Elektromobilitätslabor in Ostfildern.

Die Eckpunkte: Einem Straßenzug mit 20 Häusern haben wir 10 Haushalten für 1,5 Jahre ein Elektroauto geschenkt. Wohlgemerkt, wir hätten auch mehr als 10 Autos ausgegeben, aber es wollten nur 10 Haushalte tatsächlich ein Elektroauto haben. In diesen 1,5 Jahren wurden einmal für 20 Minuten 5 Autos gleichzeitig beladen. So knapp, so klar, so einfach. Nähern wir uns also den konzeptionellen Fragen.

Der mögliche Eingriff durch einen Netzbetreiber wird ja von manchen extrem kritisch gesehen – "My home is my castle und sicher knippst der Netzbetreiber in meinem Castle nicht die Wallbox aus!" Der für die E-Mobilität notwendige Netzausbau muss ja von allen Haushalten, auch von den 10 ÖPNV-Haushalten ohne Auto getragen werden. Würden die ÖPNV-Haushalte nicht erwarten, dass wenn sie schon mitzahlen sollen, die Wallbox-Haushalte alles tun, um den Netzausbau gering zu halten? Also im konkreten Zahlenbeispiel sich für 20 Minuten in anderthalb Jahren auf 80 % einsenken lassen, damit eben nur für vier und nicht für fünf E-Autos ausgebaut werden muss?

Und was passiert, wenn die E-Autos beginnen, bei der Beladung Marktpreise auszunutzen? In dem Moment, in dem sie sich am Marktpreis ausrichten, werden auch mehr als fünf Elektroautos gleichzeitig laden. Sozialisieren wir dann auch diesen zusätzlichen Netzausbau über alle Netzkunden? Müssen die ÖPNV-Haushalte dann mehr zahlen, damit die Elektromobilitiätshaushalte günstigere Strompreise bei der Beladung ihrer E-Autos erzielen können?

Und wenn es dann doch zu Engpässen kommt – setzt der Netzbetreiber dann variabel die Netzentgelte hoch, um dem günstigen Großhandelsmarktpreis ein kompensierendes hohes Netzentgelt entgegenzusetzen? Schaukelt sich das dann auf?

So beschaulich die Ostfilderner Energiewelt ist, so konkret sind die Fragen, wenn wir an die große Energiewirtschaft denken. Die variablen Netzentgelte müssen möglich machen, dass wir die Stromerzeugung einer Starkwindfront dann auch gut weggespeichert bekommen! Wer so redet, denkt an eine Marktoptimierung, die zu einer erhöhten Gleichzeitigkeit im Netz führt. Warum sollten variable Netzentgelte ein das Netz belastendes Marktsignal noch verstärken? Und wer bezahlt das alles – den Netzausbau und die reduzierten Netzentgelte? Wir müssen hierfür allgemein akzeptierte Antworten finden.

Meine Antwortvorschläge bauen auf zwei energiewirtschaftlichen Glaubenssätzen auf:

  1. Das Wertpotential ist im Markt größer als im Netz.

  2. Das Stromnetz hat Kollektivgutcharakter.

Aus Punkt 1 folgt, dass wir das Netz ausbauen. Vielleicht nicht bis zur Kupferplatte, aber doch signifikant, um in allerweitesten Teilen die Anforderungen und Nutzungswünsche der Kunden, auch mit Blick auf eine Marktoptimierung, möglich zu machen. Ich will offen sagen, mir fehlt der letzte energiewirtschaftliche Beweis dafür, dass diese Priorisierung richtig ist. Aber ich möchte Ihnen zwei Belege geben, einen von einem Institut und einen von meiner Mutter.

Das Institut: Das FfE hat festgestellt, dass ein Haushalt mit der Optimierung der Heimladung eines E-Autos im Jahr 2022 einen Werthebel von 3.000 Euro hätte generieren können. Dem steht entgegen, dass der durchschnittliche Haushalt in Deutschland für seinen Netzanschluss 300 Euro im Jahr zahlt. Ok, nicht jedes Jahr ist hoffentlich wie 2022, aber auch 2021 waren es immer noch 1.000 Euro Wertpotential. Die Relationen sind deutlich.

Meine Mutter: Meine Mutter sagte mir immer, dass ich mir meine Flexibilität für die Dinge aufheben soll, die ich anders nicht beeinflussen oder lösen könne. Netz kann ich ausbauen. Einer Dunkelflaute bin ich ausgeliefert. Wir sollten also unsere Flexibilität nicht für Netzengpässe einsetzen, wenn wir diese durch Netzausbau auflösen können.

Von einem ausgebauten Netz profitieren alle. Bei allen Schwierigkeiten auf der Erzeugungsseite entstehen Lösungsoptionen immer nur dadurch, dass es eine Netzverbindung gibt. Netz schafft Versorgungssicherheit und alle, auch die ÖPNV-Haushalte, genießen die 15 Minuten Ausfallzeit pro Kunde und Jahr, die ein Spitzenwert im internationalen Vergleich sind. Jeder ÖPNV-Haushalt könnte jederzeit zu einem E-Mobilitätshaushalt werden und vielleicht hat er ja auch schon eine Wärmepumpe. Jeder nutzt das Netz auf vielfältige Weise und jeder kann tatsächlich kurzfristig seine Netzinanspruchnahme signifikant ausweiten. Insofern sollten auch alle in gleicher Weise für das Netz und auch den Netzausbau zahlen.

Fazit

Kurzum: Ich bin überzeugt, dass ein kollektiv getragener Netzausbau der richtige Weg für die Energiewende ist. Sie werden natürlich von einem Netzbetreiber nichts anderes erwartet haben, aber ich hoffe, ich konnte Ihnen darlegen, warum ich diese klare Haltung habe.

Und für diese Energiewende brauchen wir die Digitalisierung im Endkundenbereich. Wir brauchen Steuerung. Wir brauchen die genaue Erfassung des Energieverbrauchs. Damit wir die Anreize setzen können, sich an einer Stromerzeugung auszurichten, die immer volatiler wird.

Das bevorzugte Mittel zur Behebung von Netzengpässen ist der Netzausbau, aber der kann manchmal dauern. Und dann muss auch der Netzbetreiber auf die Steuermöglichkeiten zugreifen können, um die Versorgungssicherheit zu wahren. Die geplante Festlegung des § 14a der Bundesnetzagentur scheint in diese Richtung zu gehen. Aus meiner Sicht ist das der richtige Weg.

Damit aber die für diesen Weg notwendige Infrastruktur in den Kellern errichtet werden kann, braucht es eine Anpassung der Preisobergrenzen. Insbesondere eine systemimmanente Inflationsanpassung muss vorgesehen werden. Es braucht eine Reform des überbordenden Regulierungsrahmens. Lassen Sie uns die Richtung denken, dass wir keine Abstriche beim Sicherheitsniveau machen wollen, aber dieses Sicherheitsniveau mit weniger Aufwand erreichen wollen. Ein gegebenes Ziel mit weniger Mitteleinsatz erreichen – für Unternehmen eine ganz normale Optimierungsüberlegung.

Vor allem braucht es aber fleißige und motivierte Hände. Die Energiewende macht sich nicht von alleine. Auf Powerpoint ist sie zwar schon geschafft, aber im wahren Leben hängt sie schon wieder einen digitalen Zähler hinterher und es wird höchste Zeit, dass sie das aufholt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Bleiben Sie auf dem Laufenden

Tragen Sie sich jetzt in meinen Newsletter ein, um benachrichtigt zu werden, wenn ein neuer Artikel erscheint.

Sie haben eine Frage oder ein spannendes Thema?

Kontaktieren Sie mich gerne per E-Mail.