Die unsichtbare Hand würde einen OPEX-Xgen einführen
09.07.2023 | Auch hier zu finden im Web
Die unsichtbare Hand würde einen OPEX-Xgen einführen
Dr. Christoph Müller
Veröffentlicht auf LinkedIn am 09.07.2023
Regulierung ist aus Sicht der Volkswirtschaftslehre ja immer nur der Second-Best-Ansatz. Für mich folgt daraus auch die Aufgabe, im Rahmen der konkreten Umsetzung der Regulierung darauf zu achten, dass es nicht zu einem Third-, Fourth- oder Fifth-Best-Ansatz wird. Daher möchte ich hier in Bezug auf den Xgen nicht (… schon wieder …) nur über die Fehler in der Regulierung des Xgen rumnörgeln, sondern einen konkreten Weg aufzeigen, wie man die Fehler heilen und so die Hoffnung auf ein echtes Second-Best aufrechterhalten kann.
First-Best ist natürlich der vollständige („perfekte“) Wettbewerb, die berühmte unsichtbare Hand des Marktes. Aber Wettbewerb funktioniert eben im natürlichen Monopol nicht. Und daher soll die Regulierung, insbesondere eine Anreizregulierung, diesen Wettbewerb imitieren. Dabei wird vom Ende her gedacht: Die Regulierung soll solche Preise für den Monopolisten festlegen, wie sie sich auch in einem Wettbewerbsprozess ergeben hätten. Für das Monopolunternehmen heißt das, der Monopolgewinn wird auf null gestrichen. Hört sich markig an („Null!“), allerdings beinhaltet für Volkswirtinnen und Volkswirte ein ökonomischer Gewinn von „null“ als zu berücksichtigende Kostenposition immer auch die marktübliche Verzinsung des Eigenkapitals (umgangssprachlich: Gewinn). Betriebswirtinnen und Betriebswirte finden also sehr wohl noch einen Gewinn in der Gewinn-und-Verlustrechnung des Monopolunternehmens. Ein (volkswirtschaftlicher) Gewinn von null fällt an, wenn die Kosten und Erlöse gleich sind bzw. – ein bisschen konkreter und sich in einem ersten Schritt auf einen spezifischen Regulierungsrahmen zubewegen: Wenn im Falle einer Preisregulierung die Preise den Durchschnittskosten oder im Falle einer Erlösregulierung die Erlöse den Gesamtkosten entsprechen. Und ein Fehler liegt in der Regulierung ganz einfach dann vor, wenn der Gewinn eben schon vom Konzept her nach oben oder nach unten von null abweicht (die Praxis wird am Ende immer noch genug Abweichungen hinzufügen, aber zumindest konzeptionell sollte die Null doch getroffen werden).
Und genau diese Anforderung des „Treffens der Null“ erreicht die deutsche Xgen-Regulierung nicht, und zwar in beide Richtungen. Durch den zweijährigen Nachlauf von Verbraucherpreisindex-(VPI-) und Xgen-Anpassung wird systematisch an der Null vorbei zu Lasten der Netzbetreiber in den Verlustbereich gezielt. Die Netzbetreiber merken das aktuell besonders stark: Die Inflation trifft die Netzbetreiber heute über die Preissteigerungen in der Beschaffung und über die Tarifanpassungen im Lohnbereich. Dass Unternehmen im Wettbewerb deshalb jetzt die Preise erhöhen (müssen), erleben wir jeden Tag. Netzbetreiber dürfen das nicht – die Regulierungsformel sieht eine Anpassung der Netzentgelte um die aktuelle Inflation erst mit zweijähriger Verzögerung vor. Für die zwei Jahre heißt es beim Netzbetreiber eben einfach „aushalten!“.
Aber auch nach oben (in den Bereich des Gewinns, also zugunsten der Verteilnetzbetreiber) wird die Null systematisch verfehlt. Der VPI und der Xgen werden auf die Gesamtkosten und damit auch auf die Kapitalkosten angewandt. Dabei ist hier der Kapitalkostenabgleich eingeführt worden, der die Anpassung der Kapitalkosten mit VPI und Xgen eigentlich obsolet macht. Und die Diskussion, ob sich diese beiden Fehler ausgleichen, ist müßig. Eigentlich sollte man doch Fehler, die man klar erkennt, einfach abstellen.
Über diese beiden Fehler hatte ich schon in meinem letzten Xgen-Artikel geschrieben (findet sich hier). Hinzu kommt ein dritter (und – versprochen – ich komme auch zu einem Lösungsansatz). Vielleicht haben Sie sich eben gefragt, warum ich bei der Erläuterung des volkswirtschaftlichen Gewinns von null extra zwischen einer Preis- und einer Erlösregulierung unterscheide… Durchschnittskosten, Gesamtkosten, das macht doch keinen Unterschied?! Sehr häufig in der Tat nicht und in der Regel ist es hier auch eher eine Geschmacksfrage, welche Regulierungsanreize Sie mit Ihrem System setzen wollen. Wenn aber ein Bereich reguliert wird, der große Wachstumszahlen vorweist, wo sich die Versorgungsaufgabe brutal ändert, wo neue Kundentypen mit großen Mengen dazukommen UND Sie mit Regulierungsperioden von fünf Jahren arbeiten, dann wird die Frage Preis- oder Erlösregulierung sehr entscheidend. Und entscheidend bedeutet vor allem auch großes Fehlerpotential und der Xgen nimmt dieses Potential voll mit.
Nochmals zur Erinnerung: Die Aufgabe der jährlichen Anpassung von VPI und Xgen ist, dass sich über die Regulierungsperiode die Preise wie die Durchschnittskosten entwickeln (bei einer Preisregulierung) bzw. die Erlöse sich so wie die Gesamtkosten entwickeln (bei einer Erlösregulierung). Der Xgen, wie im deutschen Regulierungssystem von der Bundesnetzagentur bestimmt, differenziert hier allerdings nicht – er kommt aus einer Preisregulierung. Und wenn Sie sich kurz erinnern, dass doch in der Anreizregulierung Jahr für Jahr der Regulierungsperiode die Erlösobergrenze neu bestimmt bzw. fortgeschrieben wird, stehen Sie eigentlich schon direkt vor diesem dritten Fehler, um das es im Weiteren gehen wird.
Die ganzen Betrachtungen unter den schönen Schlagworten Törnquist und Malmquist arbeiten immer auf der Basis von Preisen und stellen damit regulatorisch gesehen auf die Entwicklung von Durchschnittskosten ab. Durchschnittskosten verändern sich durch Änderungen der Einstandspreise und durch Produktivitätsverbesserungen. Für die Verteilnetzbetreiber sind jedoch die Gesamtkosten die relevante Größe. Die Gesamtkosten der deutschen Verteilnetzbetreiber werden aktuell aber insbesondere durch die sich verändernde Versorgungsaufgabe getrieben – Regulierungsdeutsch: Durch die sich verändernden Outputmengen (mehr EEG, mehr Wallboxen, mehr Wärmepumpen… ,mehr, mehr, mehr). Und die Outputmengen bleiben im „deutschen Xgen-Konzept“ außen vor: Gesamtkosten sind Durchschnittskosten mal Outputmenge und der aktuelle Xgen betrachtet nur mit der Entwicklung der Durchschnittskosten nur die Hälfte dieses Produkts. Die Entwicklung der Gesamtkosten im Tages- bzw. Jahresgeschäft der Netzbetreiber und die Entwicklung der mit dem Xgen fortgeschriebenen Erlöse fallen somit systematisch auseinander. Dieser Fehler ist recht versteckt, denn wirklich spürbar wird er nur bei der Berechnung des Xgen und da ist die Menge derer, die sich für dieses Thema interessieren schon recht klein (wenn Sie also hier als Leserin oder Leser immer noch dabei sind, gehören Sie zu einem ganz exklusiven Kreis der deutschen Energiewirtschaft!). Mit den heftigen Veränderungen der Outputmenge bzw. der Versorgungsaufgabe, die die Netzbetreiber in der Energiewende erfahren, wird dieser kleine Fehler dann doch groß und bedeutend.
Wie gesagt, Fehler aufzeigen ist ja gut und schön. Richtig weiter kommt man aber nur, wenn es auch Lösungen gibt. Und in Bezug auf den Xgen machen Dr. Tobias Pfrommer und Sabine Streb vom Regulierungsmanagement der Netze BW GmbH genau das: Eine Lösung anbieten, welche die oben angesprochenen Probleme löst: Die Umstellung auf einen „OPEX-Xgen“. Der gewählte Name zeigt schon in Ansätzen, in welcher Richtung die Lösung liegt.
Im Kern schlagen Dr. Tobias Pfrommer und Sabine Streb vor, bei der Berechnung des Xgen auf den OPEX der Verteilnetzbetreiber (operational Expenditures, also den Aufwendungen des Netzbetriebs – Personalaufwand, Materialaufwand etc. pp.) aufzusetzen und ihn bei den jährlichen Anpassungen zusammen mit dem VPI auch nur auf den OPEX der Verteilnetzbetreiber anzuwenden. Da man den OPEX-Xgen dann eben nur auf Basis von operativen Kosten berechnet und auf operative Kosten anwendet, umgeht man direkt das oben aufgezeigte Kapitalkosten-Problem (das Problem der falschen Berücksichtigung von EK-Zins-Senkungen als Effizienzsteigerungen in der aktuellen Xgen-Bestimmung hat sich dann gleich miterledigt). Und weil man auf die OPEX abstellt, ist man auch direkt in einer Gesamtkostenlogik, löst also auch das Problem der Durchschnittskosten. Die Energiewende-bedingten Veränderungen der Versorgungsaufgabe sind somit automatisch mit abgedeckt. Es bleibt der Zweijahresverzug, aber der ist eigentlich schnell und unkompliziert durch eine kleine Anpassung der Erlösobergrenzenformel zu heilen.
Auch die sehr komplexe Berechnung des Xgen wird durch diesen Vorschlag vereinfacht und (auch außerhalb unseres exklusiven Kreises hier) verständlicher, denn tatsächlich muss bei der Bestimmung ja nur mit den operativen Kosten der Branche gearbeitet werden. Diese sind aber aus den Kostenprüfungen soweit bekannt. Die paar wenigen Schritte, die dann nach der Bildung „der großen Branchensumme“ der Gesamtaufwendungen für die Xgen-Bestimmung noch zu tun sind, beschreiben Dr. Tobias Pfrommer und Sabine Streb sehr konkret in ihrem Vorschlag. Der Weg über einen OPEX-Xgen löst also nicht nur die konzeptionellen Probleme, sondern führt auch zu einer wesentlichen Vereinfachung und damit zu einer Erhöhung der Akzeptanz der regulatorischen Praxis. Der aktuelle Xgen ist ja fast berühmt-berüchtigt für seine Komplexität und dem mit seiner Bestimmung verbundenen Aufwand (Törnquist-Index, Malmquist-Index, Datenerhebungen, Datenplausibilisierungen, …). Regulierung ist kompliziert. Oft muss sie das auch sein, denn Regulierung ersetzt die unsichtbare Hand des Marktes und das in sich ist ja schon ein sehr komplexes Unterfangen. Umso wichtiger ist, dass man unnötige Komplexität verhindert. Wer an den Wettbewerb glaubt, weiß, dass es die unsichtbare Hand wahrscheinlich auch so machen würde, denn im Wettbewerb haben einfache, effiziente und nachvollziehbare Lösungen die besten Chancen. Die unsichtbare Hand würde also einen OPEX-Xgen einführen.
Die, die regulatorische Debatten schon länger verfolgen, wissen, dass die Xgen-Berechnung einen Neustart braucht. Der Vorschlag von Dr. Tobias Pfrommer und Sabine Streb ist dieser Neustart. Ihren Vorschlag haben die beiden in einem Diskussionspapier ausformuliert, das wir auf der Internetseite der Netze BW GmbH eingestellt haben und das hier abrufbar ist.
Dr. Christoph Müller
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