Ein Graph und seine Geschichte(n): Das starke Wachstum der Batterien

09.01.2025 | Auch hier zu finden im Web

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Eine spannende Entwicklung zeigt sich aktuell im Netzanschlussbereich. Die Anfragen von Entwicklern großer Batterieprojekte mit Anschlussleistungen von 100 MW bis 1 GW explodieren gerade. Die Grafik zeigt die Entwicklung bei Amprion – wohlgemerkt nur bei Amprion. Bis Ende 2020 war die Zahl der Anschlussanfragen von Batterien noch überschaubar: Null. Bei der Interpretation dieser Null sollte man nicht vergessen, dass sich im Übertragungsnetz ja nur wirklich große Leistungen anschließen. Auf Verteilnetzebene hat es schon seit einigen Jahren Batterieprojekte gegeben, die Höchstspannung hatte das aber noch nicht erreicht. 2021 kam dann die erste Netzanschlussanfrage auch bei uns, 2022 wurden es mehr und 2023 platzte dann der Knoten. Aktuell liegen bei uns fast 230 Anfragen mit in Summe über 75 GW Anschlusskapazität.

Aus Gesprächen mit anderen Übertragungsnetzbetreibern weiß ich, dass die Situation dort ähnlich ist bzw. teilweise ein noch heftigeres Wachstum zeigt. Für Deutschland kann man also die Amprion-Zahlen gut und gerne mit dem Faktor 3 multiplizieren. Wenn man gedanklich mit dieser Entwicklung spielt, so tun sich wirklich viele und spannende Aspekte auf wie die Frage der Kosten, der Regulierung aber auch der Demokratisierung der Stromwirtschaft. Diese möchte ich im Weiteren einmal anreißen – und wirklich nur anreißen, es soll ja ein LinkedIn-Artikel bleiben und kein Buch werden.

Kostenlose Optionen nimmt man gerne mit …

Zunächst einmal ist wichtig festzuhalten, dass die meisten Anfragen für den Anschluss von Batterieprojekten unverbindlich sind. Ich gehe davon aus, dass viele der jetzt bei uns angemeldeten Projekte nicht umgesetzt werden. Wir müssen aber alle Anmeldungen, die uns schriftlich vorliegen, ernst nehmen. Das heißt vor allem für spätere Anfragen von anderen Projekten für denselben Netzanschlusspunkt, seien sie von weiteren Batterieentwicklern oder erneuerbarer Erzeugung oder ein angedachter Elektrolyseur: Der Anschluss gilt als vorbelegt, weitere Anfragen müssen wir ablehnen.

Es braucht dabei nicht viel, um Netzkapazitäten zu reservieren. Eigentlich nur eine 95 Cent Briefmarke und ein bisschen Chuzpe, sein Projekt offensiv beim Netzbetreiber anzumelden (und eigentlich nicht einmal die 95 Cent – es geht auch per E-Mail). Die Bearbeitung beginnt für uns spätestens, wenn die Unterlagen gemäß den technischen Anschlussregeln für ein qualifiziertes Netzanschlussbegehren vorliegen. Und selbst wenn wir offensichtlich unplausible Projekte aussortieren könnten – woran sollten wir diese Entscheidung festmachen? Tatsächlich entscheiden, ob das gerade angemeldete Projekt nur der wilde Traum eines Ingenieurbüros ist oder tatsächlich schon eine fundierte technische Konzeption und eine echte Finanzierungsperspektive hat, können und dürfen wir Netzbetreiber letztlich nicht.

Auf allen Netzebenen wird die Anschlusskapazität knapp. Dass man relativ einfach und kostenlos Leistung vorbelegen kann, sollte vor diesem Hintergrund einmal überdacht werden. Eine Reservierungsgebühr – ähnlich wie bereits beim Anschluss von Kraftwerken nach § 4 KraftNAV vorgesehen –, die man bei Netzanschluss angerechnet bekommt, wäre aus meiner Sicht eine sinnvolle Maßnahme, um hier etwas mehr Verbindlichkeit in die Prozesse zu bringen. Ich würde vermuten, dass der Wachstumspfad in der Grafik dann deutlich moderater, aber eben auch deutlich realistischer verlaufen würde.

… und einen kostenlosen Netzanschluss auch

Um auch nur ein Drittel oder Viertel der angemeldeten Batterieprojekte anzuschließen, wird auf jeden Fall ein weiterer Netzausbau notwendig sein. Die Batterieprojektentwickler sagen aber schon jetzt: Baukostenzuschüsse (BKZ) für den Netzanschluss oder später auch Netzentgelte für die Netznutzung wollen sie nicht zahlen. Und tatsächlich sind Speicher auch nach nach dem Energiewirtschaftsgesetz für 20 Jahre vom Netzentgelt befreit. Von einem strengen Verursacherprinzip aus gedacht fühlt sich das nicht richtig an: Kosten auslösen, aber keinen Kostendeckungsbeitrag leisten.

Speicher, so wird argumentiert, seien doch „netzdienlich“ und würden daher die Kosten des Netzbetriebs senken. Einmal ganz abgesehen davon, dass es hier noch eine praktikable Definition oder Eingrenzung fehlt, fokussieren sich die meisten Geschäftsmodelle von Batterien tatsächlich eher auf „systemdienlich“. Auch das ist nicht wirklich konkreter, zielt aber auf eine Marktoptimierung: Bei niedrigen Strompreisen einspeichern, bei hohen Strompreisen ausspeichern, gerne im hochfrequenten Handel mit kurzfristigen Änderungen der Marktpreise. Im schlimmeren Fall ist das dann allerdings nicht netzdienlich, sondern netzvorbelegend.

Konstruktiv auflösen lässt sich dieser Konflikt wohl nur, wenn wir das klassische Denken in Netzanschlussleistung als wesentliches Kriterium für die BKZ-Bemessung verlassen. Beispielsweise könnten wir gemeinsam Verhaltenszusagen formulieren, die Speicher – je nach Standort differenziert – wirklich netzdienlich machen. Es fehlt aber noch ein Konzept, wie man solche Verhaltenszusagen diskriminierungsfrei und handhabbar machen kann. Und es ist das Verständnis zu schärfen (bzw. erst zu entwickeln), dass diese Verhaltenszusagen bindend sein müssen, egal wie attraktiv eine Marktsituation dann für die Batterieoptimierung ist.

Für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende sind Speicher notwendig, gerade auch systemdienliche Speicher. Aber wir können die mit ihnen verbundenen Netzkosten nicht auch noch weiter auf die Haushalts-, Gewerbe- und KMU-Kunden abwälzen. Wenn wir hier akzeptieren, dass systemdienliche Batterien ihre Netzanschlusskosten nicht tragen können und wir aus übergeordneten Gründen eine Förderung aufsetzen wollen, dann sollte diese transparent aus dem Staatshaushalt finanziert werden und nicht im sozial unreflektierten Netzentgelt versteckt sein.

Batterien brechen die klassische Energiewirtschaft auf …

Eine pointierte These: Die ganze Kunst der Energiewirtschaft, bzw. genauer der Stromwirtschaft, beruht im innersten Kern auf dem Umstand, dass man Strom nicht speichern kann. Jedenfalls nicht in technisch relevanten Größenordnungen. Jedenfalls bisher nicht. Die Grafik zeigt, dass wir auf der Seite der Leistung technisch relevante Größenordnungen durchaus erreichen (auch wenn sicher bei weitem nicht alle Anmeldungen das Licht der technischen Welt erblicken). Kurzum: Strom beginnt speicherbar zu werden, die Kunst brökelt.

Die Leistungszahlen erreichen eine energiewirtschaftlich relevante Größe, bei der Arbeit sieht das noch anders aus. Hinter den bei uns vorliegenden Anmeldungen liegt geschätzt ein Speichervolumen von 75, vielleicht auch rund 150 GWh. Das reicht kaum, um Deutschland für mehr als zwei oder drei Stunden zu versorgen. Allerdings sind wir hier auch nicht am Ende der Entwicklung. Weltweit arbeiten Ingenieure gerade an Batterien, die man mit 200 km/h gefahrlos gegen eine Wand fahren lassen kann, die im Hochsommer auf einem schattenlosen Parkplatz stehen können und dann genauso wie bei minus 20 Grad problemlos funktionieren, denen sechs Stunden Fahrt auf dem Kopfsteinpflaster von Dresden nichts ausmacht und die deutlich mehr Energie speichern können. Die Elektromobilität wird ein Innovationstreiber für Batterietechniken bleiben, wie er sich aus der Energiewirtschaft allein nie ergeben hätte. Auch wenn nicht absehbar ist, welche Technologie sich letztlich durchsetzen wird: Batterien werden höhere Kapazität aufweisen, leistungsstärker sein und vor allem (noch) billiger werden. Und sie werden dabei stets modular und in der Größe skalierbar bleiben, so dass vielfältige Anwendungen in unsere Branche denkbar sind. Und ich bin mir da ziemlich sicher: Eine Stromwirtschaft mit einem hohen Durchdringungsgrad zentraler und dezentraler Batterien wird eine andere sein als heute.

… und das betrifft auch die Regulierung

Aber nicht nur die Energieversorger müssen eine Stromwirtschaft mit hoher Batteriedurchdringung „anders“ denken – auch die Regulierung. Denn Batterien durchbrechen auch die klassischen Logiken der unbundelten Energiewelt, da sie sowohl als Netzbetriebsmittel, als auch als Markt-Asset eingesetzt werden können und ständig zwischen den Rollen eines Entnehmers und Einspeisers wechseln.

Wie andere Übertragungsnetzbetreiber arbeitet auch Amprion an „Netzboostern“. Ein Netzbooster ist eine Batterie, die „am Ende“ (so konkret man das im vermaschten Netz bestimmen kann) einer Leitung platziert ist. Damit erlaubt die Batterie es, die Leitung höher auszunutzen. Denn fällt die Leitung aus, muss die nicht mehr transportierte Energie nicht in der Sekunde von anderen Leitungen übernommen werden, sondern kommt unmittelbar und für eine Stunde aus dem Netzbooster. Und diese eine Stunde erlaubt es, wieder in einen beherrschten Zustand zu kommen. Ergebnis: Die Batterie ermöglicht es, ausfallsicher die Leitungen stärker auszunutzen und mehr zu transportieren – daher „Netzbooster“.

Statt in einer großen Netzbooster-Batterie angeschlossen am Übertragungsnetz kann dieses "Backup" auch in kleineren Batterien dezentral am Verteilnetz angeschlossen werden – die Energie muss in die Zielregion kommen, nicht notwendigerweise an einen Zielpunkt (man könnte es „Schwarmnetzbooster“ nennen, um noch ein anderes Modewort einzufügen). Das ermöglicht aber eine zweite Nutzung: Braucht der Übertragungsnetzbetreiber den Netzboosters nicht, kann der Verteilnetzbetreiber, an dessen Netz die einzelnen Batterien dann hängen, diese für sich nutzen. Auch im Verteilnetz kann eine angeschlossene Batterie segensreich wirken. Und es geht weiter: Sollte auch der Verteilnetzbetreiber die Batterie nicht brauchen, kann sie noch Deckungsbeiträge am Markt erwirtschaften (dritte Nutzung).

Die Regulierung tut sich schon schwer mit der wechselnden Nutzung von Übertragungs- und Verteilnetz. Aber in einer Welt, in der Netzbetreiber auf gar keinen Fall irgendwas „mit Markt“ machen dürfen, wird die Ausschöpfung aller drei Nutzenpotentiale schwierig. Insbesondere, wenn man das auch noch abwägend machen möchte, sich also bei einer Nutzenkonkurrenz von VNB, Markt und ÜNB fragt, in welcher Verwendung die Batterie denn den höchsten Nutzen bringen würde. Konzepte hat man hier schnell geschrieben, allerdings beinhalten sie alle einen anderen Umgang mit den Entflechtungsgrundsätzen. Nicht nur die Stromunternehmen müssen also mit den Batterien einiges in ihrem Geschäft neu denken.

Wie prognostiziert man Innovationen?

Und dann sollte uns die stark wachsende Zahl der Batterieanfragen noch in einem ganz anderen Punkt eine mahnende Warnung sein. Im 2023er Netzentwicklungsplan (NEP) geht man für 2037 im Szenario A und im Szenario B von einer angeschlossenen Batteriekapazität von 91 GW aus – marginal mutiger ist Szenario C mit 92 GW. Sehend, dass die Anschlussanfragen in Deutschland insgesamt bei wohl mehr als dem Doppelten dieses Wertes liegen und dass sie dahin in nur zwei Jahren geschnellt sind, scheinen wir auf einem guten Weg, diese Kapazität auch zu erreichen.

Die aktuellen Entwicklungen bei den Batterien zeigen uns, wie schnell uns hier die Realität mit ihrem technischen Fortschritt überholen wird bzw. wahrscheinlich schon überholt hat. Üblicherweise reagiert man auf diese Herausforderung mit einem breiten Szenariofächer, um zu erkennen, welche Maßnahmen in allen Entwicklungen stabil sind und bei welchen man ein Augenmerk auf besondere (dann erkannte) Effekte haben muss. Insofern werfen die Batterienanmeldungen ein Scheinwerferlicht auf ein akutes Problem des NEP-Prozesses: Die Szenarien sind zu eng. Die Bandbreite bei Batterien von 91 bis 92 GW ist hier nur ein Beispiel. Alle drei NEP-Szenarien sehen für 2037 eine installierte PV-Kapazität von 345 GW. Alle drei Szenarien haben für 2045 eine Kapazität von 70 GW bei Offshore. Der Stromverbrauch variiert 2045 (immerhin …) zwischen 1080 und 1300 TWh. Das sind alles keine Bandbreiten, mit denen man sich irgendwie der Frage technischer Innovation und Disruption nähert. Die Batterieentwicklung zeigt uns, wie schnell hier Annahmen überholt werden und wie wichtig es ist, die Szenarien breit anzulegen. In allen Aspekten bzw. Bereichen, denn an dieser Stelle auch folgender Hinweis zum Stromverbrauch: Auch ich glaube, dass er langfristig deutlich steigen wird, aber tatsächlich ist er seit 2015 rückläufig …

Die Demokratisierung der Stromwirtschaft

Diese dringend notwendige Öffnung des NEP-Prozesses zeigt eine letzte, vielleicht die dramatischste Änderung, die mit der Batterietechnologie einhergeht: Auch die politischen Diskussionen und Betrachtungen müssen sich hier anpassen. Die Vorstellung, dass man die Welt für 2045 prognostizieren kann, und dann „einfach baut“ geht an den Entwicklungen vorbei. Aber auch die großen energiepolitischen Prozesse der letzten Jahre – Kernenergieausstieg, Kohleausstieg – mit ihren Verhandlungen zwischen Politik und großen Energieversorgern, müssen sich verändern, wenn wesentliche Investitionsentscheidungen für Erzeugung und Speicherung (und dahinter: Netznutzung) millionenfach von Einzelakteuren getroffen werden – PV aufs Dach, Batterie in den Keller, Wärmepumpe und/oder Wallbox dazu.

Hinter dem Zähler gibt es keine Entflechtung und keine Regulierung. Aber sie wird notwendig sein, denn Versorgungssicherheit bleibt in der Stromwirtschaft ein Kollektivgut. Die Diskussionen rund um den § 14a EnWG, d. h. die mögliche Dimmung von Wallboxen durch den Netzbetreiber, haben gezeigt, dass es kaum Verständnis für notwendige Eingriffe „hinter dem Zähler“ gibt. Und ganz abgesehen von der Bereitschaft – die dafür notwendige digitale Infrastruktur haben wir auch nicht.

Die Zukunft ist ungewiss

Wir stehen erst am Anfang der neuen Geschichte der Batterie in der Energiewirtschaft. Die speicherbare Arbeit wird mit Blick auf das Gesamtsystem wohl wahrscheinlich überschaubar bleiben. Die Gesamtleistung und der Umstand, dass sich Batterien jeden Tag neu optimieren können, geben ihnen aber das Potential, eine für die klassische Stromwirtschaft disruptive Technologie zu sein. Das hört sich vielleicht groß an, aber man mag sich fragen, was das für eine Stromwirtschaft sein wird, in der im Keller jeden Hauses eine Tiefkühlschrank-große Batterie mit 40 kWh Speicher steht, die auch noch digital vernetzt ansteuerbar ist und in der sich im Gewerbe- und Industriekundenbereich vergleichbare Entwicklungen ergeben haben. Diese Stromwirtschaft wäre eine andere. Ich sehe in dem Graph keine Prognose, dass es so kommt. Ich sehe in dem Graph erst einmal, dass wir nicht glauben sollten, wir können die Zukunft exakt vorhersagen. Die Zukunft ist unsicher, damit müssen wir klarkommen – auch in der Energiepolitik. Und die Zukunft kommt immer mit Veränderungen und darin liegt doch auch gerade – wie in den Batterien – ihre große Chance.

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